RuheForst Neuigkeiten
21. März 2024 – Dem Forst sei Dank
Autorin: Simone Naujack
Veröffentlicht im Heimatjahrbuch der Heimatfreunde am Mittelrhein
Trauer und Abschied gehören zum Leben und zu den Menschen. In der heutigen Zeit scheint es besonders schwer zu fallen, den Tod als Teil des erfüllten Lebens zu akzeptieren. Waren in früherer Zeit Trauerriten streng festgelegt, wenn auch regional unterschiedlich, so strebt der Mensch heute nach mehr Individualität und Freiheit.
Im 18. Jahrhundert übernahmen „Totenfrauen“ das Waschen, Herrichten und Ankleiden des Verstorbenen. Das Totenhemd, das im Übrigen bereits häufig zur Konfirmation verschenkt wurde und aus einfachem Leinen bestand, sollte dafür sorgen, dass der Verstorbene schlicht vor Gott trete. Die letzte Waschung hatte das Ziel, den Verstorbenen von Unreinheit zu befreien.
Im 19. Jahrhundert, als die Grundsätze der Hygiene mehr und mehr erkannt wurden, übernahmen Ordens- und Krankenschwestern die Aufgabe der Totenwaschung. Die ersten Bestatter ließen sich nieder und übernahmen die Aufbahrung der Toten im häuslichen Sterbezimmer.
Heute versterben die meisten Menschen in Krankenhäusern, Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe und in Hospizen. Die Herrichtung der Leichname übernehmen die Bestatter.
Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert war die Angst vor dem Scheintod sehr ausgeprägt. Sprachrohre und Klingelapparaturen wurden in Särge hineinkonstruiert, um eine Kontaktaufnahme nach „draußen“ zu ermöglichen. Eine gesetzliche Aufbahrungszeit von 3 Tagen wurde eingeführt. Da dies besonders in den Sommermonaten schwierig war, wurden Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Leichenhallen gebaut.
Die Sargbestattung war zunächst nur ein Privileg von Adel und Klerus, das einfache Volk wurde in Leichentücher gewickelt und konnte so von der „Sicherheitstechnik“ der Särge nicht profitieren. Noch heute bestimmen Holzart, Verzierungen und Beschläge den Preis des Sarges, sodass die finanziellen Möglichkeiten des Verstorbenen sichtbar werden. Der Blumenschmuck des Sarges spricht häufig eine sehr individuelle Sprache für die Familie des Verstorbenen, Kränze symbolisieren den Lebenskreis.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es festgelegte Trauerzeiten, in denen die Trauerkleidung zu tragen war, dies ist heute häufig nicht mehr sehr streng. Bevor in unserer Region schwarz als Trauerfarbe anerkannt wurde, trug man weiße Kleidung. Heute werden gedeckte Farben bei einer Beerdigung bevorzugt.
Der Bevölkerungsanstieg und der damit verbundene Bedarf an Grabflächen veränderten auch die Strukturen der Friedhöfe. Im Mittelalter fand man diese ausschließlich in und um Kirchen, deshalb sprach man nicht von Friedhöfen, sondern von Kirchhöfen. Da die Flächen hier begrenzt waren, entstanden Beinhäuser (wie an der Katharinakirche in Oppenheim), wo die Gebeine der Verstorbenen ihre letzte Ruhe fanden. Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden parkähnliche Friedhöfe am Rande der Wohngebiete. Der Wortteil „Fried“ hat im Übrigen nichts mit dem Wort „Frieden“ zu tun, sondern ist dem Wort „Einfriedung“ entliehen. Friedhöfe sind befriedete Bezirke, haben also sichtbare Grenzen.
1934 wurde im Nationalsozialismus das „Gesetz zur Feuerbestattung“ erlassen, angelehnt an dieses Gesetz gibt es noch heute in Deutschland einen gesetzlichen Bestattungs- und Friedhofszwang, die Aufbewahrung und Bestattung der Urne auf privaten Flächen sind nicht möglich bzw. illegal. Ein Blick zu unseren Nachbarn nach Holland und Frankreich, die diesen Friedhofszwang nicht kennen, zeigt, dass die allerwenigsten die Urnen ihrer Lieben tatsächlich dauerhaft zu Hause aufbahren oder bestatten. Viele Menschen brauchen zur Trauerbewältigung das Gefühl, das der vertraute Verstorbene seine „letzte Ruhe“ gefunden hat.
In Deutschland richtet sich die Form der Bestattung, innerhalb der gesetzlichen Grenzen, in aller Regel nach dem letzten Willen des Verstorbenen. Jedes getaufte Mitglied einer christlichen Kirche hat zudem ein Anrecht auf eine christliche Trauerfeier und ein christliches Begräbnis, unabhängig davon, ob es sich um eine Urnen- oder Körperbestattung handelt. Wichtig ist allerdings, dass die Wünsche des Verstorbenen den Angehörigen bekannt sind. Da das Stammbuch im Falle des Todes gebraucht wird, kann eine Nachricht dort hilfreich sein. Entscheidungen werden im Todesfall sehr schnell getroffen, das Testament des Verstorbenen wird in der Regel erst nach der Beisetzung eröffnet. Eine Patientenverfügung, die eine entsprechende Rubrik enthält, wird nur im Falle einer schweren Krankheit zur Hand genommen.
1878 ist in Gotha das erste deutsche Krematorium eröffnet worden, um 1920 wurde die Kremation von der Evangelischen Kirche, 1963 von der Katholischen Kirche als mögliche Bestattungsform anerkannt. Waren 1975 etwa 11 % der Bestattungen Urnenbestattungen, so stieg die Zahl bis 2005 deutschlandweit auf 40%, in Rheinland-Pfalz gar auf 60%.
Die Konzeptionen der verschiedenen Gemeinden hinsichtlich der Wahl- (Familien-) Grabstätten und der Reihengrabstätten, Urnengräbern, -wänden und -stelen sind höchst unterschiedlich. Gemeinsam ist all diesen Modellen, dass es sich um eine Bestattung innerhalb eines kommunalen Friedhofes handelt, der in der Regel nur von Einwohnern der entsprechenden Gemeinde und für eine begrenzte Laufzeit (15-35 Jahre) genutzt werden kann, bzw. anschließend verlängert werden muss.
Der florale Grabschmuck findet seinen Ursprung bereist in der Antike. Blumen symbolisieren das Andenken an den Verstorbenen. So stehen z.B. immergrüne Pflanzen für das ewige Leben, Stiefmütterchen für die Dreifaltigkeit und Rosen für die Liebe. Heute wird der Blumenschmuck zudem häufig nach Schönheit, Pflegeleichtigkeit und Haltbarkeit ausgewählt. Der Blumenschmuck auf Gräbern ist ein Stück Kulturgeschichte. Immer wieder waren es Blumen, Blätter und Bäume die man den Toten in Liebe, Achtung und Verehrung schenkte. Blumen und Pflanzen sind Sinnbild des ewigen Kreislaufes von Werden und Vergehen.
Grabmale sind das letzte Geschenk an den Verstorbenen. Auf ihnen befinden sich Namen und Daten und häufig auch christliche oder weltliche Symbole. Es gibt eine enorme Vielfalt an Formen, Farben und Material. Grabsteine können massengefertigt oder künstlerische Einzelarbeiten sein.
Die Mehrheit der Bundesbürger (60,6%) wollen oder können nicht mehr als 4000,- € für eine Bestattung ausgeben. Die durchschnittlichen Bestattungskosten in Deutschland liegen aber bei 6000,- €. Je nach Wahl der Grabstätte, des Grabmales und der Einfassung, des Sarges und der Bepflanzung kann eine Beerdigung bis zu 20.000 € kosten.
Das folgende Schaubild gibt einen Einblick über die Bestattungswünsche in Deutschland:
Umfrageergebnisse 1998-2007 zur Bevorzugung eines üblichen Erd- oder Urnengrabes X “(nach http://www.aeternitas.de/inhalt/bestatten_beisetzen/medien/dateien/infratest.pdf)“
Das Schaubild zeigt, dass die Hälfte der Befragten eine alternative Bestattungsform dem traditionellen Erd- oder Urnengrab vorziehen.Die wohl bekanntesten alternativen Bestattungsmöglichkeiten sind die See- und die Waldbestattung.
Bei der Seebestattung wird die Asche des Verstorbenen in einer Mineralstoffurne dem Wasser übergeben, wo sie sich auflöst. Eine Namenstafel gibt es in der Regel nicht.
Bei der Waldbestattung wird eine biologische abbaubare Urne mit der Asche der Verstorbenen am Fuße eines Baumes beigesetzt.
Im September 2010 wurde in Waldalgesheim der erste RuheForst im Landkreis Mainz –Bingen eröffnet. Dr. Gerhard Hanke ging mit diesem Konzept neue Wege. Im Gemeindewald Waldalgesheim wurde eine Fläche von 30 ha als Bestattungswald genehmigt. Die Betreuung des Areals unterliegt Förster Bernhard Naujack und seinen beiden Forstwirten Markus Brendel und Tobias Liesenfeld. Innerhalb der bereits erschlossenen 5 ha Wald wurden Wege und Bänke angeordnet und Biotope (Bäume) mit Nummern versehen und eingemessen. Um diese Biotope gibt es im Uhrzeigersinn 12 Beisetzungsstellen. Himmelsrichtung und Baum können gewählt werden. Im Herzen des RuheForstes befindet sich der Andachtsplatz, der in Zusammenarbeit mit den örtlichen Kirchenvertretern konzipiert und bei der Eröffnung eingesegnet wurde. Eine kirchliche Begleitung der Trauernden wird somit möglich. Die Abschiednahme ist sehr individuell gestaltbar.
Im RuheForst gilt das Prinzip der ewigen Ruhe. Das Nutzungsrecht an einer Grabstätte wird auf momentan 99 Jahre erworben. Die Aschen der Verstorbenen werden in biologisch abbaubaren Urnen beigesetzt, die nach und nach Teil des natürlichen Waldbodens werden. Auch wenn in 99 Jahren der Waldteil wieder der „normalen Waldnutzung“ zugeführt wird, verbleiben die Urnen im Boden. Eine Wiederbelegung einer Grabstätte ist nicht möglich.
Nur der Vertragspartner kann zu Lebzeiten bestimmen, wer an „seinem Baum“ beigesetzt werden darf. Nach dem Tod des Vertragspartners wird dessen letzter, bei RuheForst Rheinhessen-Nahe hinterlegter, Wille umgesetzt. Freie Grabstätten vererben sich nicht.
Angehörige und Freunde der Verstorbenen können jederzeit die letzten Ruhestätten besuchen. Ein barrierearmer Zugang erleichtert den Besuch für gehbehinderte Menschen. Im Winter wird die Zuwegung zum Parkplatz geräumt, mit geeignetem Schuhwerk ist ein Begang des Waldes in der Regel möglich. Eine Namenstafel am Baum kann auf Wunsch angebracht und mit einem christlichen Symbol versehen werden. Bezugspunkt für die Trauernden ist nicht die Grabstätte im Boden, sondern der Baum. Die Angehörigen erhalten eine Karte, in die Grabstätte und Grablage eingezeichnet sind.
Eine Grabpflege ist nicht nötig und auch nicht möglich. Die Grabpflege übernimmt die Natur im wechselnden Schauspiel der Jahreszeiten. Menschen, die im RuheForst zu den Grabstätten ihrer Lieben zurückkehren, tun dies ausschließlich um sich zu erinnern und zu gedenken und in keinem Fall aus Pflichtgefühl, um die Blumen zu gießen. Sie finden zu jeder Zeit eine gepflegte, natürliche Grabstätte vor. Ein Ort voller Ruhe und Harmonie, der Platz und Zeit bietet nachzudenken und durchzuatmen.
Wenn auch eines Tages die Spuren des Lebens verweht sind, wird die Grabstätte weiterhin so natürlich und gepflegt sein, wie am ersten Tag. Enkel und Urenkel können auf der Suche nach den eigenen Wurzeln die Grabstätten ihrer Vorfahren wiederfinden, denn diese sind sowohl mit GPS- als auch mit Gauß-Krüger-Koordinaten versehen und somit sogar auffindbar, wenn es z.B. einen Baum gar nicht mehr gibt.
Im Mittelalter wurden Pflanzen häufig mit dem Paradies, dem grünen und fruchtenden Garten Eden in Verbindung gebracht. So verwendete man Pflanzen auf Gräbern, um als Symbol auf das kommende Reich Gottes hinzuweisen oder auch, wie die Distel, als Schutzzeichen für die Abwehr von bösen Kräften.
Bei dem Waldteil, der als RuheForst vorgesehen ist, handelt es sich überwiegend um einen etwa 100-jährigen Eichen-Buchen-Mischwald, dem durch das RuheForst-Konzept die Möglichkeit gegeben wird, sich ganz natürlich zu entwickeln. Folgende Symbolpflanzen haben sich ganz natürlich im und am RuheForst entwickelt:
Das Immergrün steht für Unsterblichkeit und unvergänglichen Ruhm. Veilchen, Gänseblümchen und Wicke sind Symbole für Bescheidenheit und die Marienverehrung. Die Rose, ein Sinnbild des Blutes Christi und der Liebe über den Tod hinaus. Efeu ist Symbol für Leben, Tod und Unsterblichkeit zugleich. Diese symbolische Kraft bezieht der Efeu aus seiner enormen Ausdauer: was er einmal umschlungen hat, gibt er nicht mehr frei. Anemone (Buschwindröschen) stehen für Liebe, Hoffnung und Vergänglichkeit. Die Haselnuss steht für die Unsterblichkeit, der Holunder für das Jenseits.
Auch Bäume tragen Symbole, so steht die Birke für Leben und Licht, die Eiche für die Unsterblichkeit, die Fichte für Hoffnung und als immergrüner Baum für Leben und Tod, die Walnuss für die Dreieinigkeit.
Der RuheForst Rheinhessen-Nahe bietet eine Alternative zur herkömmlichen Bestattung, ohne diese zu ersetzen. Das Konzept spricht besonders naturverbundene Menschen an und ist, da für jeden Menschen unabhängig von Religion und Wohnort offen, aus heutiger Sicht zeitgemäß und modern. Friedhöfe sind nicht zuletzt auch Spiegel der Gesellschaft und zur heutigen Gesellschaft gehören Freiheit und Nachhaltigkeit mehr als jemals zuvor. Um jedem die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen, gibt es monatlich sonntägliche Führungen.
Brefeld, Maik/ Flüthmann, Ritha/ Frieling, Maria, Alternative Bestattungsformen, Fachhhochschule Münster, 2007
Diener, G. Walter, Hunsrücker Volkskunde, Ludwig Röhrscheider Verlag, Bonn: 1962
Marx, Reinhard/ Kneib, Michael, Pastorale Handreichung zum Umgang mit Tod und Begräbnis im Bistum Trier, Bischöfliches Generalvikariat, Trier: 2007
Sörries, Reiner, Alternative Bestattung – Formen und Folgen, Fachhochschulverlag Frankfurt: 2008
Sörriese Reiner, Urnen oder Kirchenwald, Fachhochschulverlag Frankfurt: 2009
http://www.aeternitas.de
http://www.bistum-trier.de
http://www.destatis.de
http://www.ekd.de
http://www.ruheforst.de
http://www.wikipedia.de