Wo Leben und Tod sich berühren

4. Oktober 2016 – 

Allgemeine Zeitung im Kreis Mainz-Bingen, 01.Oktober 2016

Eine Gruppe Menschen verschiedenen Alters steht um einen Baum. Der Blick ist gesenkt. Köpfe nicken. Das ist der richtige Baum für die Beisetzung des geliebten Vaters, Bruders, Ehemanns und Opas. Nicht so ganz gerade ist die dicke Buche, wie das Leben eben, aber sie ist stark und schon mehr als 100 Jahre alt. Aus einer unscheinbaren Buchecker kam einst ein winziger Keimling, lange bevor der Verstorbene geboren wurde. Der eine oder andere Erwachsene wischt sich Tränen aus den Augen.

Der kleine Sohn der Familie legt den Kopf in den Nacken, blickt in die Baumkrone und fängt an zu lachen. Dafür bekommt er einen Schubs und einen mahnenden Blick von seiner Mutter. „Aber Mama, schau doch “, verkündet er lautstark, „da oben ist ein Spechtloch. Das kenne ich vom Schulunterricht. Opa wohnt hier nicht alleine, der Baum ist schon bewohnt. Dann können die beiden gemeinsam auf einem Ast sitzen. Opa hat mir erzählt, dass er früher, als er so groß war wie ich, gerne auf Bäume geklettert ist. Deshalb hat er mir das auch nie verboten“.

Jetzt muss die Mama lächeln. „Ja, das stimmt!“, sagt sie jetzt mit festerer Stimme, “ Und deine zerrissene Hose hat er dann im Keller versteckt und dir eine neue angezogen, damit niemand was merkt“. Die Familie schmunzelt, denkt an Opa und Enkel, die oft dreckverschmiert aus dem Wald kamen: Der Enkel mit vor Schlamm starrenden Schuhen und blitzsauberer Hose.

Ein Grab im RuheForst ist ein Grab in einem lebendigen Umfeld. Nicht umsonst heißen die Bestattungsplätze hier RuheBiotope. „Bios“ bedeutet „Leben“ und „Topos“ bedeutet „Ort“: Ein Ort zum Leben also. In einem solchen Biotop findet die Asche des Verstorbenen in einer biologisch abbaubaren Urne ihre letzte Ruhe. Sie wird Teil des Waldbodens, Teil des Lebenskreises. Der Baum ist der zentrale Punkt des Biotops. Er wird auf 99 vor Abholzung geschützt und von Baumkletterern unter Aufsicht des Försters gepflegt. Der Baum altert, entwickelt Gebrechen. Spechte, Käfer und Fledermäuse ziehen ein. Eichen und Buchen können mehrerer hundert Jahre alt werden. Ist der Baum eines fernen Tages tatsächlich abgestorben, ist er immer noch Lebensraum. Ein Hauch Unendlichkeit. Ein kleiner Trost im Angesicht des schlussendlich unvermeidbaren.

Man kann nur lieben, was man kennt

Die „Kleine Waldfibel, eine Broschüre für den interessierten Waldbesucher“ wurde mit viel Zeit und Liebe zum Bild von Förstern, die im RuheForst arbeiten, zusammengestellt. Herausgegeben wurde sie zum zehnjährigen Bestehen der RuheForst GmbH. Mehr als 60 Bestattungswälder in Deutschland erfüllen die hohen Kriterien und dürfen sich „RuheForst“ nennen. Aus diesem Wissens- und Bilderpool heraus ist ein handliches Nachschlagewerk über den heimischen Wald und seine Bewohner entstanden. Bernhard Naujack, Förster in Waldalgesheim, Weiler und Münster-Sarmsheim, und seit sechs Jahren auch Förster im RuheForst Rheinhessen-Nahe, weiß das funktionierende Netzwerk der Standorte zu schätzen. „Nur was man kennt, kann man lieben und nur was man liebt, möchte man schützen“, erklärt er den Zusammenhang zwischen Bestattungswald und Waldfibel“. Durch das RuheForst-Konzept bleiben wertvolle Teile des Waldalgesheimer Gemeindewaldes auf 100 Jahre vor Abholzung geschützt, so entstehen besondere Biotope für Mensch und Tier.“

Bild Eingangsbereich